Künstler
Vittore CarpaccioTitel
Geburt Mariens (Albanesi-Zyklus)Datierung
um 1502/03Technik / Material
Öl auf LeinwandMaße
Höhe: 126,8 cm; Breite: 129,1 cmCreditline
Bergamo, Fondazione Accademia CarraraCopyright
Fondazione Accademia Carrara, BergamoVittore Carpaccio gilt als „master storyteller”, als einer der besten Geschichtenerzähler seiner Zeit. Und hier hat er seine Meisterschaft augenfällig unter Beweis gestellt. Das Gemälde zeigt die Geburt Mariens, der späteren Muttergottes, in einem wohlhabenden Haushalt: Eine Amme schickt sich an, das Kind in einem flachen Holzzuber zu baden. Eine Dienerin kümmert sich um Anna, die Wöchnerin. Vorn hat sich eine Frau auf einem Mäuerchen niedergelassen, um eine Binde aufzuwickeln. Und in den hinteren Räumen sind zwei weitere Dienerinnen bei der Hausarbeit zu sehen. Nur Joachim, der einzige Mann im Bild, ist untätig. Er hat sich auf seinen Stock gestützt und blickt versonnen auf die Szene.
Carpaccio schuf das Gemälde als Auftakt einer sechsteiligen Serie für die Scuola degli Albanesi, den Treffpunkt der albanesischen Gemeinschaft in Venedig. Er lässt die Szene in einem wohlhabenden venezianischen Haushalt spielen und schmückt sie mit zahlreichen, scheinbar nebensächlichen Details aus. Lassen Sie Ihren Blick einmal wandern: Sie sehen eine typische Holzbalkendecke, opulente Wanddekorationen, Vasen und Gefäße auf einem Gesims und nicht zuletzt eine Wandtafel mit hebräischen Schriftzeichen.
Unmittelbar bevor Carpaccio seine „Geburt Mariens“ schuf, war in Venedig eine Art Lehrbuch für die hebräische Sprache erschienen. Die korrekt wiedergegebene Inschrift entstammt diesem Werk. Carpaccio ging es allerdings nicht darum, eine vermeintliche Wirklichkeit in einem jüdischen, venezianischen Haushalt darzustellen. Mit der Schrifttafel gelang es ihm vielmehr, verschiedene Zeitebenen miteinander zu verschränken: Die Legende der Geburt Mariens, die in vorchristlichen Zeiten liegt, lässt er in einem zeitgenössischen Interieur spielen. Die Schrifttafel, die seine Mitmenschen kaum entziffern konnten, unterstreicht die historische Kluft – trotz aller Aktualisierungen und Alltagsbezüge.
Werfen Sie, bevor Sie weitergehen, noch einen Blick auf die sitzende Frauenfigur rechts im Vordergrund. Sie werden Ihr im nächsten Raum wiederbegegnen.