Künstler
Vittore CarpaccioTitel
Lesende MariaDatierung
um 1505–1510Technik / Material
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragenMaße
Höhe: 78 cm; Breite: 51 cmCreditline
Washington, National Gallery of Art, Samuel H. Kress CollectionCopyright
Washington, National Gallery of ArtCC-Lizenz
Public Domain Mark 1.0 - Weltweit frei von bekannten urheberrechtlichen Einschränkungen
Dieses Gemälde wurde zunächst auf Holz gemalt und dann auf Leinwand übertragen. Das Hochformat ist knapp 80 Zentimeter hoch und etwa 50 Zentimeter breit. Es stammt aus der National Gallery of Art in Washington.
Das Bild zeigt Maria, die auf einer Balkonbrüstung sitzt und in ein aufgeschlagenes Buch blickt.
Der Balkon ragt von rechts ins Bild und nimmt fast die untere Hälfte des Gemäldes ein. Über der gemauerten weißen Brüstung, die am unteren Bildrand verläuft, liegen ein blauer Mantel und ein grün gesäumtes Tuch mit goldrotem Muster. Maria sitzt seitlich darauf. Sie trägt ein rotes Kleid mit weiten orangefarbenen Ärmeln. Der runde Halsausschnitt ist von einer breiten silbernen Bordüre umrandet. Unter ihrem turbanartig um den Kopf geschlungenen hellbraunen Tuch kommen im Nacken einige kurze blonde, gewellte Strähnen hervor. Über Hinterkopf und Nacken fällt ein transparenter Schleier bis auf die Schultern herab. Ein schmaler goldglänzender Heiligenschein umgibt Marias Kopf.
Konzentriert blickt sie auf die Seiten des kleinen Büchleins in ihren Händen. Es hat einen roten Einband und ein rotes Lesebändchen, das davon herabhängt.
Auf der Balkonbrüstung am linken Bildrand sind Schulter und Zehen des Jesuskindes, das sitzend an einem Kissen lehnt, sowie ein winziger Teil seines Heiligenscheins zu sehen.
Hinter dem Balkon erstreckt sich eine von Büschen und Sträuchern gesäumte Wiese, auf der zwei Bäume stehen. Der Baum links ist nahezu kahl, der rechte belaubt. Am Horizont liegt eine Küstenlandschaft mit mehreren Hügeln in Grün- und Blautönen. Die Hügel fallen von rechts nach links sanft zur glatten Wasserfläche hin ab. Rechts am Ufer befinden sich einige Gebäude und ein schlanker Turm, die sich hell vor einem dunkelgrünen Hügel abheben.
Links oben im Bild, über der Wasserfläche, stehen weiße und graue Wolken. Nach rechts klart der Himmel auf.
Aufmerksam und ganz in den Text versunken liest Maria in einem Buch. Wir sehen sie von schräg hinten, auf einer Brüstung sitzend.
Im Gegensatz zu traditionellen Mariendarstellungen trägt sie kein rotes Gewand mit einem blauen Mantel, sondern ein hellrot-orangefarbenes Kleid mit aufwendiger Bordüre, das der venezianischen Mode um 1500 entspricht. Auf dem Kopf: ein turbanähnliches Tuch mit Schleier. Hinter ihr öffnet sich eine Wasserlandschaft mit Stadtansicht.
Das Jesuskind, dessen linker Arm und Fuß am linken Bildrand noch zu sehen sind, war Teil des ursprünglich größeren Gemäldes: Es ging aber verloren, als das Bild später beschnitten und so verkleinert wurde.
Übrig blieb die lesende Maria, eine eindrucksvolle, monumentale Figur. Dass die Gottesmutter mit einem Buch in der Hand dargestellt wird, ist nichts Ungewöhnliches. In der katholischen Kirche trägt sie auch den Beinamen „Sedes Sapientiae“ – Sitz der göttlichen Weisheit; das Buch ist also ein geläufiges Attribut. Dass sie allerdings aktiv und konzentriert in diesem Buch liest, ist eher originell.
Carpaccio zeigt uns Maria also nicht nur als eine zentrale Figur der religiösen Verehrung. Er kleidet sie in eine zeittypische Mode, lässt sie in einer an Venetien erinnernden Landschaft Platz nehmen und erhebt sie zu einem Vorbild weiblicher Bildung und Lesekultur – zu einer Identifikationsfigur.
Tatsächlich nehmen Frauen in den Gemälden Carpaccios einen ungewöhnlich großen Raum ein. Sie treten selbstbewusster auf als in den Werken anderer venezianischer Maler der Zeit. Indem er die Lebenswelt der Frauen – die Beschränkung auf fromme Lektüre – zum Thema seiner Gemälde machte, könnte Carpaccio sich in seinen Werken gezielt an Frauen gewandt haben… als Betrachterinnen und vielleicht sogar als Auftraggeberinnen.
Auf diesem Bild sehen wir Maria von schräg hinten, wie sie auf einer Mauer sitzt. Sie liest konzentriert in einem Buch. Normalerweise wird Maria mit einem roten Kleid gemalt. Hier trägt sie ein oranges Kleid mit Verzierungen, wie es zu Carpaccios Zeit modern war. Auf ihrem Kopf trägt sie ein Tuch mit einem Schleier. Hinter ihr sehen wir eine Landschaft und eine Stadt.
Am linken Bildrand sind der Arm und der Fuß des Jesuskindes noch zu sehen. Es war ursprünglich Teil eines größeren Bildes. Das Bild wurde beschnitten, dadurch ging das Jesuskind verloren. Übrig blieb nur die lesende Maria, die dadurch mehr im Mittelpunkt steht. Maria wird oft mit einem Buch gemalt. Das Buch ist also ein bekanntes Symbol. Doch dass sie aktiv und konzentriert liest – das ist eher selten.
Carpaccio zeigt uns Maria in der Mode der damaligen Zeit und in einer Landschaft, die an Venedig erinnert. Er malt Sie als Vorbild für gebildete Frauen.
Frauen sind in Carpaccios Bildern ungewöhnlich oft abgebildet. Sie wirken selbstbewusster als in den Bildern anderer Maler der damaligen Zeit. Carpaccio könnte mit diesen Bildern gezielt Frauen angesprochen haben, sowohl als Betrachterinnen als auch möglicherweise als Auftraggeberinnen.