Künstler
Vittore CarpaccioTitel
Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse (Pala Dragan)Datierung
1507Technik / Material
Mischtechnik auf PappelholzMaße
Höhe: 266,2 cm; Breite: 185,4 cmCreditline
Staatsgalerie Stuttgart, erworben 1852 mit der Sammlung Barbini-Breganze, VenedigCC-Lizenz
Public Domain Mark 1.0 - Weltweit frei von bekannten urheberrechtlichen Einschränkungen
Titel
Infrarotaufnahme, Detail: ehemals angelegte Butzenscheiben, von Carpaccio übermaltDatierung
2023Technik / Material
InfrarotreflektogrammCreditline
Staatsgalerie StuttgartCopyright
© Staatsgalerie StuttgartDie Altartafel ist mehr als zweieinhalb Meter hoch und fast zwei Meter breit. Die intensiven Farben sind auf Pappelholz aufgebracht. Das Gemälde befindet sich seit 1852 im Besitz der Staatsgalerie Stuttgart.
Das Hochformat zeigt drei Männer und einen knienden, etwa zwölfjährigen Jungen unter einem wolkenreichen Himmel mit Maria und Christuskind.
Die Himmelsszene nimmt das obere Drittel des Bildraumes ein, der nach oben bogenförmig abschließt. Umgeben von einem goldenen Schein hält die Gottesmutter ihren nackten kindlichen Sohn. Der blickt herab, die Rechte zum Segen erhoben. Um die beiden schweben Engel. Nur ihre Köpfe und Flügel ragen aus den graublauen Wolken. Darunter spannen vier Engel mit größeren Flügeln ein schmales rotes Tuch quer über das Bild. Es trennt den Himmel vom irdischen Geschehen im unteren Teil des Gemäldes.
Der wird von den drei Männern und dem Jungen eingenommen. Die Gruppe befindet sich in einem Raum mit zwei Rundbogenfenstern, durch die eine Hügellandschaft vor einer Gebirgskette zu sehen ist. Zwischen den Fenstern, im Zentrum des Bildes, thront einer der Männer auf einem Podest. Er trägt ein weißes Gewand, darüber einen Mantel und einen Überwurf mit Kapuze in Schwarz. Der Mönch, es ist der Heilige Thomas von Aquin, sitzt hinter einem Pult, auf dem ein dickes aufgeschlagenes Buch liegt. Seine Linke ruht darauf, die Rechte hat er erhoben. Der ausgestreckte Zeigefinger weist nach oben zum Himmel.
Das kniehohe Podest hat zwei Türen. Die linke ist weit geöffnet, an der rechten, halb geschlossenen, steckt ein Schlüssel. Ein weiterer hängt daran. Im Inneren des Podestes liegt ein Bücherstapel.
Links neben Thomas von Aquin steht ein Mann mit dunklem Vollbart, der Heilige Markus. Er trägt ein rotes, langes und faltenreiches Gewand. Ein blaugrünes Tuch ist um Schulter und Hüften geschlungen. Seine bloßen Füße stecken in Sandalen. Der Heilige hält ein aufgeschlagenes Buch und blickt konzentriert zu dem Mann auf der rechten Seite.
Der Mann rechts, Ludwig von Toulouse, trägt eine Mitra und einen rot-gold gemusterten Umhang über einem weißen, rot gesäumten Gewand, das ihm bis über die Füße fällt. In seiner linken hält er einen Krummstab, in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch. Der Bischof zeigt die bedruckten Seiten dem Heiligen Markus. Rechts neben Ludwig von Toulouse, zu Füßen des Thomas von Aquin, kniet der Junge in einem blauen, fellgesäumten Mantel. Er ist in der Art eines Stifterporträts dargestellt, hat die Arme vor der Brust gekreuzt und blickt zu Thomas von Aquin hinauf.
Auf dem Boden, mittig am unteren Bildrand, befindet sich ein gemalter Zettel mit der Signatur des Künstlers und der Datierung in Latein.
Drei Heilige im Gespräch: Am linken Bildrand steht der heilige Markus – der Patron der Stadt Venedig. Mittig thront der heilige Thomas von Aquin an einem Schreibpult; zu seinen Füßen kniet der Sohn des Stifters dieser Tafel. Und rechts steht der heilige Ludwig von Toulouse im Bischofsornat.
Was verbindet diese Figuren? Theologisch betrachtet, nicht allzu viel. Sie lebten zu unterschiedlichen Zeiten und können sich daher nie begegnet sein. Doch sie tragen die Vornamen einer bedeutenden venezianischen Familie – der Dragan. Tommaso Dragan und sein Schwager Marco gehörten zu einer Generation, die die Glasherstellung revolutioniert hatte. Dank hochwertiger, von weither importierter Rohstoffe und neuer Fertigungstechniken konnte ab dem späten 15. Jahrhundert ein besonders qualitätvolles und reines Weißglas produziert werden: das Luxusprodukt Kristallglas.
Darauf verweist auch die Bibelstelle aus der „Offenbarung des Johannes“, die Ludwig in den Händen hält:
„Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus.“
Als Carpaccio das bestellte Altargemälde auslieferte, dürfte es jedoch zu einem kleinen Eklat gekommen sein. Schauen Sie einmal auf die Wolken, die sich oben vor den Schreibplatz des heiligen Thomas schieben und so eine zweite Ebene in der Komposition bilden: Die ein rotes Band haltenden Engel und die beiden roten Engelsköpfchen scheinen nachträglich in das Altarbild gekommen zu sein… Und tatsächlich: Infrarotuntersuchungen machten kürzlich eine darunterliegende Unterzeichnung sichtbar. Sie können eine Infrarot-Aufnahme als zweite Abbildung der Station sehen. Über den Köpfen von Markus und Ludwig ist dort deutlich eine Bogenarchitektur mit kreisrunden Glasscheiben zu erkennen: sogenannte Butzenscheiben – die damals übliche Art, Fenster zu verglasen.
Offenbar war Carpaccio einem Missverständnis aufgesessen: Die aufstrebende Familie Dragan hatte ihren Reichtum nicht der Herstellung ordinärer Butzenscheiben zu verdanken, sondern der Fertigung vergoldeter und emaillierter Kristallgefäße! Vermutlich wiesen die Dragan das Gemälde empört zurück und zwangen Carpaccio zu einer hastigen Umarbeitung.
In dem zu dieser Altartafel ausgewählten Musikstück von Alexander Demophon Venetus wird Maria, die Muttergottes, direkt angesprochen: „Volgi gli occhi, o madre pia“ – „Wende deine Augen, oh fromme Mutter“. Sie können die Musik über den zweiten Player in voller Länge abrufen.
Auf diesem Bild sehen Sie drei Heilige. Links steht der heilige Markus, der Schutzheilige von Venedig. In der Mitte sitzt der heilige Thomas von Aquin, rechts unten kniet ein Kind mit langen Haaren. Rechts steht der heilige Ludwig von Toulouse, er trägt die Kleidung eines Bischofs.
Die drei Heiligen haben nicht viel gemeinsam. Sie haben zu unterschiedlichen Zeiten gelebt und können sich deswegen nicht begegnet sein. Aber die Drei tragen die Vornamen von Männern aus der Familie, die das Bild in Auftrag gegeben und dafür bezahlt hat – Tommaso (Thomas) und Marco (Markus) aus der Familie Dragan. Die Familie Dragan war sehr reich und wichtig. Sie hatte eine neue Art erfunden Glas herzustellen und konnte damit besonders kostbares Kristallglas anfertigen. Kristallglas war damals ein Luxusprodukt, das sich nur reiche Menschen leisten konnten. Ludwig, auf der rechten Seite, hält einen Zettel mit einer passenden Bibelstelle in der Hand: „Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus.“
Doch das Bild erzählt noch eine andere Geschichte: Als Carpaccio der Familie Dragan das Bild das erste Mal zeigte, kam es wahrscheinlich zu einem Zwischenfall. Carpaccio hatte ein Fenster mit runden Glasscheiben gemalt. Diese Glasscheiben nennt man Butzenscheiben. Butzenscheiben waren damals weit verbreitet und einfach herzustellen.
Carpaccio muss sich aber wohl geirrt haben: Die Familie Dragan stellte keine Butzenscheiben her, sondern vergoldete Kristallgefäße. Heute wird vermutet, dass die Familie Dragan das Bild ablehnte und Carpaccio aufforderte, die Butzenscheiben zu übermalen. Sie können hier sehen, wie er das gemacht hat: Die Engel, die das rote Band halten, und die kleinen roten Engelsköpfe weiter hinten wurden später dazu gemalt. Wir wissen heute von diesem Missverständnis, weil die Butzenscheiben durch eine Untersuchung mit Infrarotstrahlen wiederentdeckt wurden.