Tour mit Audiodeskription

Dauer: 45 Min.
Stationen:11
Ort:Kunstgebäude

Die Audioführung begleitet Sie mit Audiodeskriptionen der Kunstwerke an 11 Stationen durch die Ausstellung. Über das Menü können Sie die Sprache einstellen.

  • 01 Willkommen

    Willkommen in der Ausstellung »Katharina Grosse. The Sprayed Dear« im Kunstgebäude am Schlossplatz. Mit der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg 2025 präsentiert die Staatsgalerie Stuttgart erstmals umfassend das dreidimensionale Werk von Katharina Grosse.

    Mit ihren Arbeiten lädt Grosse dazu ein, ganz neu über Malerei nachzudenken. Bewusst überschreitet sie Grenzen – ihre Malerei breitet sich über Leinwände, Objekte, Räume und ganze Landschaften aus. Farbe wird bei ihr zu einem eigenständigen Element, das sich nicht an vorgegebene Flächen hält, sondern den Raum verwandelt.

    Die 1961 in Freiburg im Breisgau geborene Künstlerin studierte Malerei in Münster und Düsseldorf, unterrichtete später selbst an renommierten Kunsthochschulen und erhielt 2014 den Oskar-Schlemmer-Preis des Landes Baden-Württemberg. Heute zählt sie international zu den wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart.

    Für diese Ausstellung entstand mit »The Sprayed Dear« eine von drei neuen, raumgreifenden Arbeiten, entworfen speziell für den 26 Meter hohen Kuppelsaal des Kunstgebäudes. Der Titel spielt mit den gleichklingenden englischen Worten deer, für Hirsch und dear, für Liebgewonnenes – eine Hommage an den goldenen Hirsch, das Wahrzeichen auf der Kuppel des Kunstgebäudes, und zugleich eine Einladung, über die Bedeutung von Malerei im Raum nachzudenken.

    Daneben gibt Ihnen die Ausstellung Gelegenheit, Grosses Schaffen aus einer neuen Perspektive zu entdecken. Erstmals wird der Bogen von ihren frühen Materialexperimenten bis hin zu ihren monumentalen, immersiven Installationen gespannt. Dadurch gewinnen Sie einen Eindruck davon, wie sich Grosses Technik, Formensprache und künstlerisches Denken seit ihren Anfängen entwickelt haben – und welche Rolle Malerei heute für sie spielt.

    Ihr Rundgang durch Katharina Grosses künstlerische Biographie beginnt im Marmorsaal, mit einem Werk aus Grosses Kindheit, das uns bereits viel über ihr späteres Schaffen verrät. 

  • 02 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Bei dem Objekt handelt es sich um das Faksimile eines kleinen, ausgeblasenen weißen Hühnereis. In sein unteres Ende ist ein Loch gebohrt, damit das Ei aufgestellt werden kann. 

    Das Ei misst etwa 6 Zentimeter in der Höhe und 4,8 Zentimeter im Durchmesser. Die Oberfläche ist unregelmäßig, im oberen Teil sind kleine, „pockenartige“ Erhebungen zu sehen. 

    Die untere Hälfte des Eis ist fast vollständig in leuchtendem Hell- und Dunkelblau gehalten – es erinnert an eine Wasserfläche. Darüber sind ungleichmäßige Farbflächen in Rot, Braun, Orange und Ockertönen verteilt. An einigen Stellen verläuft das rote Farbfeld und bildet tropfenartige Spuren, die eine Verbindung zu einer braunen Farbfläche herstellen. Eine unbemalte weiße Zone trennt die Farbflächen. Hier sind sichtbare Fingerabdrücke in Braun- und Ockertönen zu sehen. 

    Die Farben wurden mit Filzstiften aufgetragen, wodurch die Striche teils kräftig und dynamisch, teils zart und verwischt wirken. Durch die Rundung des Eis verändert sich die Komposition je nach Blickwinkel.

    Dieses Faksimile eines kleinen bemalten Eis ist etwas ganz Besonderes, denn es führt uns zurück an den Beginn von Katharina Grosses künstlerischem Schaffen. Das originale Werk entstand 1971, als die Künstlerin etwa neun oder zehn Jahre alt war. 

    In Grosses späterem Werk ist Vergänglichkeit ein zentrales Element. Viele ihrer großflächigen Installationen werden nach einer Ausstellung entfernt, manche Arbeiten hat sie bewusst zerstört. Für sie liegt Schönheit in der Einmaligkeit des Kunstgenusses – ein Werk existiert im Moment der Wahrnehmung und verschwindet danach.

    Umso bemerkenswerter ist also diese frühe Arbeit, die bislang noch nie ausgestellt wurde.

    Schauen Sie sich das Ei einmal genau an. In den Farbflächen zeigt sich bereits Grosses Freude am Spiel mit Farbe. Ist die blau bemalte Hälfte als Wasser zu verstehen, auf dem ein braunes Boot mit rotem Segel tanzt? Oder erkundet die junge Künstlerin hier intuitiv ihre späteren Prinzipien? Die roten Linien, die an fließende Ölfarbe erinnern, nehmen die Technik der Sprühfarbe vorweg, die für ihre späteren Arbeiten charakteristisch wurde.

    Die Wahl des Bildträgers ist spannend: Die runde Form des Eis erzeugt eine Komposition mit vielfältigen Perspektiven – schon als Kind dachte Grosse über die klassische Bildfläche hinaus. Die unebene Oberfläche beeinflusst die Farbverteilung, ein Prinzip, das die Künstlerin bis heute in ihren Arbeiten weiterentwickelt.

    Sehen Sie genau hin: Auf der weißen Fläche des Eis sind Katharina Grosses Fingerabdrücke zu erkennen – eine direkte Spur ihres Körpers, die sich später in den raumgreifenden Bewegungen ihrer Sprühtechnik wiederfindet.

    Außerdem sehen Sie hier im Marmorsaal ein späteres Werk von Katharina Grosse aus dem Jahr 2007. Die ovale Form zeigt, wie sie das Motiv Jahrzehnte später erneut aufgreift – diesmal mit Acrylfarbe und in großflächiger Sprühtechnik.

    Um Ihren Rundgang fortzusetzen, begeben Sie sich nun in den Zwischensaal.

  • 03 Katharina Grosse
    Ghost

    Bei »Ghost« handelt es sich um eine monumentale, längliche Skulptur aus weißem Styropor. Sie misst etwa 2 Meter in der Höhe, 15 Meter in der Länge und 4 Meter in der Tiefe. Die Form wirkt organisch, fast wie eine natürliche Felsformation oder ein Eisschollenfeld mit unregelmäßigen Erhebungen und tiefen Einschnitten.

    Die Oberfläche ist strukturiert, mit sichtbaren Schnittspuren und Bruchkanten, die an abgetragenes Gestein erinnern. Einige Bereiche sind glatt, andere weisen eine poröse, aufgeraute Textur auf. Trotz ihrer massiven Ausdehnung wirkt die Skulptur durch das Material vergleichsweise leicht.

    »Ghost« ruht direkt auf dem Boden und breitet sich wie eine Barriere im Raum aus. Seine Größe und unregelmäßige Form lassen das Kunstwerk als Hindernis erscheinen, das umgangen werden muss. Die Skulptur ist unbemalt, wodurch die Struktur und das Material in den Vordergrund treten.

    Die Skulptur mit dem Titel »Ghost«, die sie hier vor sich sehen, lädt in mehrfacher Hinsicht dazu ein, innezuhalten. In ihrer Monumentalität blockiert sie den Weg in den Kuppelsaal. Damit wird »Ghost« zu einem Hindernis, das umgangen werden muss. Mit der bewussten Platzierung des Werks zwingt Katharina Grosse uns, die Bewegung unserer Körper im Raum zu reflektieren. 

    Gleichzeitig dient die Skulptur als Schwelle oder auch als Tor zu den anderen hier ausgestellten Kunstwerken. In Grosses Gesamtwerk kann »Ghost« als Brücke zwischen zwei Gruppen von Arbeiten begriffen werden, die Ihnen in der Ausstellung begegnen werden: den frühen, experimentellen Plastiken und den heutigen, oftmals raumgreifenden Malereien. 

    Die Form der Skulptur erinnert an geologische Fragmente. Doch durch die Wahl eines leichten, formbaren und wenig dauerhaften Materials wie Styropor erzeugt Katharina Grosse eine massive Skulptur, die zugleich fragil wirkt. 

    Was an »Ghost« am meisten ins Auge sticht ist das, was fehlt: die intensive Farbgebung, die Katharina Grosses Werk prägt. Mit der Entscheidung, »Ghost« nicht zu bemalen, stellt Grosse die Skulptur in einen starken Kontrast zu ihrer Arbeit »The Sprayed Dear«, die Sie im nächsten Raum sehen. So entsteht ein Dialog zwischen den beiden Kunstwerken, zwischen der völligen Abwesenheit und der überwältigenden Gegenwart von Farbe. Fast wirkt es, als fordere die Künstlerin die Betrachtenden auf, an dieser Stelle selbst aktiv zu werden und sich die Farbe vor dem inneren Auge vorzustellen. Vielleicht ist die Skulptur also als eine Art „latente Möglichkeit“ von Malerei zu verstehen – sie gewinnt genau durch die Absenz von Farbe eine malerische Spannung. 

    Um Ihren Rundgang fortzusetzen, gehen Sie nun in den großen Kuppelsaal des Kunstgebäudes.

  • 04 Katharina Grosse
    The Sprayed Dear

    »The Sprayed Dear« ist eine großformatige, farbintensive Installation, die sich über eine wellenförmige Aluminiumplastik und den gesamten Boden des Kuppelsaals erstreckt. Die Plastik, etwa drei Meter hoch und 15 Meter lang, erinnert in ihrer geschwungenen Form an eine Haarlocke oder eine aufgeworfene Welle. Ihre Oberfläche ist mit leuchtenden Acrylfarben besprüht, die sich in kräftigen, fließenden Farbverläufen über das Metall ziehen.

    Der Boden des Saals ist ebenfalls bemalt, wodurch sich das Kunstwerk über die gesamte Fläche des Raums erstreckt. Die Farben scheinen ineinanderzulaufen, überlagern sich und erzeugen einen vielschichtigen, dynamischen Effekt.

    Durch ihre Größe und Farbgewalt verändert die Installation den gesamten Raum. Die Besucherinnen und Besucher bewegen sich innerhalb der Malerei, deren Wirkung sich je nach Standort verändert.

    »The Sprayed Dear« wurde von Katharina Grosse eigens für diese Ausstellung geschaffen, der sie auch ihren Titel verliehen hat. Die Arbeit füllt den gesamten Boden des Kuppelsaals im Kunstgebäude. 

    Hier, auf dem Boden des Saals, entfaltet sich eine monumentale, wellenförmige Aluminiumplastik. Wie für Grosses gegenwärtige Kunst charakteristisch, ist sie in bunten Farben besprüht, die einander überlagern. 

    Die an Locken erinnernde Form erzeugt einen optischen Fluss, der den Blick lenkt. Doch wie in anderen ihrer Arbeiten beschränkt die Künstlerin den Farbauftrag nicht allein auf die Plastik – die Farbe erstreckt sich über den gesamten Bodenbereich und schafft so eine begehbare Bildwelt. 

    Malerei wird hier zu einer räumlichen Erfahrung – sie ist nicht länger auf ein Objekt oder eine Fläche beschränkt, sondern wird zu einem immersiven Umfeld. Katharina Grosse verwandelt den Kuppelsaal so vorübergehend in begehbare Malerei-Architektur. Probieren Sie es selbst aus: Wenn Sie den Saal betreten, bewegen Sie sich innerhalb dieses Kunstwerks. Je nach Ihren Bewegungen und Ihrem Standort verändert es sich ein wenig – so werden Sie für einige flüchtige Augenblicke selbst Teil der Installation.

    Mit »The Sprayed Dear« erkundet Katharina Grosse Themen wie Räumlichkeit und Vergänglichkeit und das Verhältnis von Malerei und Skulptur. 

    Handelt es sich um Malerei, wenn sie nicht auf ein permanentes, statisches Objekt bezogen ist? Ist das noch der Kuppelsaal oder macht die Farbe diesen Raum zu einem anderen Ort? Und was bleibt von »The Sprayed Dear«, wenn die Arbeit nach Ende der Ausstellung wieder abgebaut ist? Mit der Gestalt und der Flüchtigkeit ihrer Werke lädt Katharina Grosse dazu ein, ganz neu über ihr Verständnis von Malerei nachzudenken, es zu erweitern oder sogar von Grund auf in Frage zu stellen.

    Bleiben Sie nun zunächst noch hier im Kuppelsaal. In der nächsten Station unseres Mediaguides erfahren Sie mehr über die Geschichte und Architektur des Kunstgebäudes. 

  • 05 Das Kunstgebäude

    Das Kunstgebäude mit dem weithin sichtbaren Kuppelbau ist ein kulturelles Wahrzeichen Stuttgarts. Seine Tradition als zentraler Ort für moderne Kunst reicht dabei mehr als einhundert Jahre zurück. Erbaut wurde es 1913 nach Entwürfen von Theodor Fischer. Ganz im Geist der Zeit wählte der Architekt einen historisierenden Stil, der verschiedene Elemente verbindet: die Arkadenhalle, einmal als „schönste Bogenhalle nördlich der Alpen“ bezeichnet, erinnert an Renaissancebauten. Die 26 Meter hohe Kuppel selbst trägt eher neoklassizistische Züge und die ursprüngliche Innenraumgestaltung war von Elementen des Jugendstils geprägt. 

    Der ikonische Hirsch an der Spitze der Kuppel verweist auf das Gebäude, das ursprünglich an dieser Stelle stand: Das »Neue Lusthaus«, das die württembergischen Herzöge für Jagden und Feierlichkeiten nutzten. Es wurde 1903 bei einem Brand zerstört. 

    Das Kunstgebäude entstand ursprünglich als Ausstellungsgebäude für den Württembergischen Kunstverein und den Stuttgarter Künstlerbund. Von Beginn an hatte es eine enge Verbindung zur zeitgenössischen Kunst. Die »Große Kunstausstellung Stuttgart 1913« zeigte zur Eröffnung des Gebäudes neben traditionell-akademischer Malerei bereits erste Werke mit impressionistischen und frühexpressionistischen Elementen.  

    Deutlich fortschrittlicher war die Auswahl der Werke für die bahnbrechende Ausstellung »Neue Deutsche Kunst« im Jahr 1924. Otto Fischer, der damalige Direktor der Staatsgalerie Stuttgart, präsentierte dort die wichtigsten Entwicklungen der modernen deutschen Kunst mit Künstlern wie Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Max Beckmann, Oskar Kokoschka und Ernst Barlach. Bereits vor mehr als 100 Jahren war die Staatsgalerie folglich schon einmal zu Gast im Kunstgebäude.

    Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kunstgebäude bis auf den Kuppelbau stark beschädigt. Nach dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren diente es über Jahrzehnte als Veranstaltungs- und Ausstellungsort im Herzen Stuttgarts. Seit 2024 erstrahlt das Kunstgebäude nach einer umfassenden Renovierung in neuem Glanz und steht der Stadtgesellschaft heute wieder als lebendiger Ort für Kunst zur Verfügung. 

    Unser Rundgang setzt sich nun im Raum 114 mit Wandarbeiten von Katharina Grosse aus dem Jahr 2021 fort.

  • 06 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Vor Ihnen erstreckt sich ein großflächiges Polyptychon – eine mehrteilige, aus mehreren Platten zusammengesetzte Wandarbeit. Das Werk ist mehr als dreieinhalb Meter hoch und über sieben Meter breit. 

    Das Kunstwerk besteht aus robusten Schichtholzplatten, die mit Acrylfarbe besprüht wurden. Die Farbaufträge sind dynamisch, in mehreren Schichten übereinandergelegt, teils fließend, teils abrupt abgesetzt. Es dominieren helle, kräftige Töne wie Hellblau, Hellgrün und Gelbschattierungen, die mit dunkelblauen und dunkelrot-bräunlichen Akzenten kontrastieren. Die Oberfläche weist Unterschiede in der Farbverteilung auf – einige Bereiche sind komplett mit Farbe überzogen, während andere mehr von der gemaserten Holzstruktur freigeben.

    Die Einzelplatten sind nicht bündig angeordnet, sondern versetzt, was dem Werk durch den Schattenwurf eine Tiefendimension verleiht. Durch die Teilung der Bildfläche verändert sich die Wahrnehmung der Farben und Formen je nach Standpunkt und Lichteinfall.

    In diesem Raum sehen Sie mehrere Wandarbeiten Katharina Grosses aus dem Jahr 2021. Ursprünglich wurden die bemalten Schichtholzplatten als separate Arbeiten ausgeführt. Doch für diese Ausstellung hat sich die Künstlerin entschieden, sie auf neue Weise miteinander zu präsentieren. So entstand ein mehrteiliges, großformatiges Polyptychon, eine Malerei, die sich über mehrere Bildtafeln erstreckt, die gemeinsam zu einem Kunstwerk werden. 

    Bereits für sich genommen lassen die bunt bemalten Schichtholzplatten klar Katharina Grosses Handschrift erkennen: mit einer kompressorbetriebenen Sprühtechnik hat die Künstlerin unterschiedlichste Farbtöne auf den Untergrund aufgebracht, eine Methode, die feine, nebelartige Übergänge erzeugt. Durch Unterschiede in der Dichte des Farbauftrags werden sowohl deckende als auch transparente Farbfelder erzeugt. Interessant ist, wie das gewählte Trägermaterial die Arbeit beeinflusst: die raue Oberfläche der Platten ist widerständiger als Leinwand, an einigen Stellen lässt Grosse bewusst die Maserung des Schichtholzes durchscheinen. Durch das Zusammenfügen unterschiedlich dicker Platten ist die Malerei nicht auf eine homogene Fläche beschränkt und scheint sich über den Bildträger hinaus auszudehnen. Je nach Lichteinfall verändern sich die sichtbaren Kanten zwischen den Einzelplatten.

    Das Zusammenfügen dieser Einzelbilder hat gleich mehrere Effekte: durch die vergrößerte Oberfläche verstärkt sich die räumliche Präsenz des Werks. Die Platten wirken zwar zusammenhängend, aber nicht völlig einheitlich und erwecken den Eindruck eines vielteiligen, sich immer weiter fortsetzenden Bildes. Die Segmentierung der leuchtenden Farbflächen erinnert daran, dass Katharina Grosse sich in ihrem Werk immer wieder mit Schichtung, Überlagerung und der Auflösung von Bildgrenzen befasst. 

    Um den Rundgang fortzusetzen, durchqueren Sie nun Raum 115 und begeben sich in Raum 116, um eine neu geschaffene Leinwand-Installation von Katharina Grosse zu sehen. 

  • 07 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    In etwa fünf Metern Höhe ist an der Wand des Raums eine monumentale, unbemalte Leinwand befestigt. Die rund fünf Meter breite Leinwand entfaltet sich mit einer Länge von mehr als sieben Metern in den Raum.

    Anders als in vielen Arbeiten von Katharina Grosse, in denen Farbe dynamisch über Wände, Objekte und Böden hinwegfließt, bleibt diese Leinwand vollkommen weiß. 

    Die große, dreidimensionale Struktur ist nicht flach oder gleichmäßig gespannt. Stattdessen faltet, wölbt und biegt sie sich, sodass das Licht über ihre Oberfläche wandert und feine Schatten entstehen.

    Dieses Werk markiert einen Übergang: es ist eine Wandarbeit, die sich jedoch zugleich plastisch in den Raum erstreckt. Allein schon durch die monumentalen Dimensionen entfaltet sie physische Präsenz. Sie faltet und wölbt sich, ist an einigen Stellen eng mit der Wand verhaftet und schwebt an anderen losgelöst im Raum. So erzeugt Katharina Grosse durch Form und Größe der Arbeit einen Dialog mit der Architektur. Gehen Sie doch einmal durch den Raum und betrachten Sie die Leinwand von verschiedenen Standpunkten aus. Wie verändern sich die Faltenwürfe und Schatten je nach Lichteinfall?

    Als Material wählt Grosse hier eine Leinwand, die sie bewusst unbemalt lässt – eine radikale Abkehr von den farbgewaltigen Arbeiten, die den größten Teil ihres Werks auszeichnen. So hinterfragt sie mit diesem Werk, was passiert, wenn sie nicht malerisch in einen Raum eingreift. Die Leinwand-Installation bleibt eine Art von „Anti-Malerei“ oder auch eine „potenzielle Malerei“: sie erinnert uns daran, was möglich wäre, aber nicht ausgeführt wurde und durchbricht bewusst unsere Erwartungen. Damit wirft Grosse die Frage auf, ob ein Werk nur dann als Malerei gelten kann, wenn Farbe verwendet wurde. Oder reicht möglicherweise bereits das Bewusstsein aus, dass Farbe aufgetragen werden könnte? 

    Um Ihren Rundgang fortzusetzen, durchqueren Sie die beiden Räume 115 und 114 und begeben sich in Raum 113, um frühe Werke aus Katharina Grosses Studienzeit in Düsseldorf zu sehen.

  • 08 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Das Werk misst 46 mal 39 Zentimeter und besteht aus einer rechteckigen Platte aus Polyethylen, einem leichten, flexiblen, wachsartigen Kunststoff. Die Oberfläche ist unregelmäßig und weist Vertiefungen auf. Auch die Ränder sind nicht vollkommen gerade, einige Kanten wölben sich leicht nach außen.

    Die Farbgestaltung ist dynamisch: Ein intensiver, leuchtender Rosaton dominiert das Zentrum und verläuft unregelmäßig über die Fläche. Die Farbe ist an manchen Stellen kräftig aufgetragen, während sie in anderen Bereichen transparent erscheint. Neben Rosa sind auch dunklere Töne wie Rot, Violett und vereinzelte Spuren von Blau zu erkennen. Diese dunkleren Farben verlaufen stellenweise ineinander oder sind als einzelne, deutliche Akzente aufgebracht.

    In einigen Bereichen wirkt die Farbe pastös, mit sichtbaren Erhöhungen und Verdickungen. Andere Stellen zeigen feine Sprenkel und dünne Farbspuren. Die Ränder sind nicht durchgehend bemalt, an manchen Stellen bleibt der helle Untergrund aus Polyethylen sichtbar.

    Die Arbeiten in diesem Raum haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie alle stammen aus dem Jahr 1987, als Katharina Grosse an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Und sie bestehen aus einem ungewöhnlichen Trägerstoff: Anstelle von Leinwand wählte die Kunststudentin Polyethylen, ein synthetisch hergestelltes, leicht glänzendes Material.

    Ölfarbe haftet auf diesem Untergrund unterschiedlich gut, was den Gemälden eine interessante Struktur verleiht. Im Gegensatz zu traditionellen Gemälden sind die Arbeiten dreidimensional. Grosse schichtet die Farbe, verwischt sie und spielt zugleich mit den Gegensätzen zwischen Deckkraft und Transparenz. An manchen Stellen ist der Farbauftrag pastös und undurchdringlich, an anderen lässt sie absichtlich das lichtdurchlässige Trägermaterial durchscheinen und erzeugt damit Tiefenwirkung.

    Hier zeigen sich zu einem frühen Zeitpunkt Elemente, die Katharina Grosses Kunst immer weiter prägen sollten. Diese Arbeiten machen deutlich, dass sie bereits während ihres Studiums mit Materialität experimentierte und Farbe in ihrer raumverändernden Qualität wahrnahm.

    Die junge Künstlerin sucht hier deutlich nach Möglichkeiten, sich von traditionellen Malereikonzepten zu lösen und die Malerei aus der Begrenzung des zweidimensionalen Bildraums zu befreien. Diese frühen Werke sind dabei nicht nur eine künstlerische Suche, sondern auch ein entschiedener Schritt hin zu einer Malerei, die sich aus der Fläche in den Raum entfaltet.

    Gehen Sie nun weiter in Raum 112. Hier sehen Sie Arbeiten von Katharina Grosse aus den Jahren 1989–1990, in denen sie weiter damit experimentiert, ihre Malerei in die Dreidimensionalität zu überführen.

  • 09 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Das rechteckige Gemälde misst 60 cm in der Höhe und 50 cm in der Breite. Es zeigt eine vertikale Komposition aus unterschiedlich breiten, parallel verlaufenden Streifen und ovalen Formen.

    Die Farbtöne bewegen sich überwiegend im grünen Farbspektrum, mit Abstufungen von dunklem Waldgrün bis zu hellen, fast gelblichen Nuancen. Einige Streifen erscheinen transparent und lassen darunterliegende Farbschichten durchscheinen. Die ovalen Formen sind weich begrenzt und wirken teilweise übermalt oder ausgespart.

    Der Pinselduktus ist deutlich sichtbar, mit dicken, mal streifigen, mal glatten Farbaufträgen. An manchen Stellen treten Farbränder hervor, was eine zusätzliche Tiefe erzeugt. Der Gesamteindruck ist ruhig, mit einer sanften Bewegung durch die geschichteten Farbflächen.

    Dieses Gemälde stammt aus dem Jahr 1989, als Katharina Grosse an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Damals war sie fasziniert von der Idee, „Malerei ohne Malerei“ zu erschaffen. Oberflächlich betrachtet scheint das Werk noch an die klassische Form von Malerei gebunden: es handelt sich um eine abstrakte Darstellung in Ölfarbe auf einer klar abgegrenzten Leinwand. 

    Und doch ist erkennbar, dass sich die junge Künstlerin hier bereits mit Farbverläufen, Überlagerungen und Tiefeneffekten beschäftigte. Obwohl die Malerei auf die Leinwand beschränkt bleibt, erzeugen die halbtransparenten, sich überlagernden Farben eine Art Tiefenraum. Die Farbschichtung, die sie hier noch erkundet, bereitet schon den Boden für die charakteristischen Überlagerungen in ihrer späteren Sprühtechnik. Die Komposition wirkt offen und dynamisch, fast scheint es, als würde sie sich über den Rand der Leinwand hinaus fortsetzen – eine Vorahnung von der späteren Auflösung der Bildgrenzen in Katharina Grosses Werk.   

    Schauen Sie sich auch die anderen Arbeiten in diesem Raum näher an. Sie entstanden zwischen 1989 und 1990 und zeigen noch geschlossene, klar voneinander getrennte Farbflächen. In dieser Phase experimentierte Grosse mit unterschiedlichen Konsistenzen, sich überlagernden Farbpartien und unkonventionellen Maltechniken. Sehen Sie beispielsweise das mintgrüne Gemälde? Hier wurde die Farbe großzügig aufgetragen und mit einem Spatel kreisförmig verteilt, sodass unterschiedliche Malschichten zum Vorschein kommen. Wahrscheinlich trug die Künstlerin die Farbe lasierend, also in mehreren Schichten, auf. Dadurch entsteht ein leichter, fast schwebender Effekt, der von einer Auseinandersetzung mit Transparenz und Überlagerung zeugt. Ein weiteres Gemälde zeigt eine Kombination von freischwebenden Farbformen und bewusst gesetzten Zwischenräumen, die sich auch auf Katharina Grosses späteren großflächigen Wandarbeiten wiederfindet. 

    Bleiben Sie nun hier in Raum 112 und hören Sie die nächste Station unseres Mediaguides an.

  • 10 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Das Objekt ist klein und kompakt, etwa handgroß mit einer Seitenlänge von fünf mal zwölf Zentimetern und einer Höhe von etwa acht Zentimetern. Es hat eine unregelmäßige, leicht glänzende Oberfläche. Diese ist in einem satten Grünton bemalt, doch darunter schimmert eine ältere türkise oder blaue Farbschicht hervor. Besonders an Kanten und Vertiefungen tritt diese wieder zutage.

    Die grüne Farbe wirkt ungleichmäßig aufgetragen – stellenweise deckend, an anderen Stellen verwischt oder abgerieben. Die Seiten des Objekts hingegen sind unbemalt und zeigen das natürliche, wachsartige Material. Die Oberfläche trägt Spuren der Bearbeitung: kleine Vertiefungen, Erhebungen und abgeriebene Bereiche, die das Licht unterschiedlich reflektieren. Je nach Perspektive changiert das Grün zwischen Moos- und Blautönen.

    Das Objekt wirkt haptisch ansprechend, als würde es sich sanft in die Hand schmiegen. Das Zusammenspiel von abgenutzter Farbe und unregelmäßiger Oberfläche lässt das Objekt wirken, als sei es über lange Zeit geformt oder gealtert.

    Auch dieses Objekt stammt aus Katharina Grosses Studienzeit und zeigt ihr frühes Interesse an Farbe als eigenständiger, formgebender Kraft. Die Oberfläche ist von einem kräftigen Grünton geprägt. Doch sehen Sie, dass darunter eine blaue Farbschicht hervorschimmert? Grosse hat sie übermalt, aber an manchen Stellen ist sie noch sichtbar – vor allem an Kanten und Vertiefungen. Die Seiten des Objekts sind unbehandelt, sodass das wachsartige Material in seinem ursprünglichen Zustand erhalten bleibt.

    Vergleichen Sie dieses Objekt einmal mit den beiden Werken hier im Raum, die ebenfalls 1989 entstanden sind. Eine Arbeit zeigt eine klare, kräftige rot-orange Farbfläche. An der Seite des Objekts ist eine ebenfalls orangefarbene Kordel direkt in das Material eingearbeitet – sie tritt an den Rändern hervor, verschwindet stellenweise wieder und scheint vom wachsartigen Material umschlossen zu sein. Dadurch entsteht eine zusätzliche Spannung zwischen der weichen, amorphen Form und der strukturierten, textilen Komponente.

    In dem anderen Werk verdichtet sich die Farbe zu einer reliefartigen Struktur. Verschiedene Farbtöne – Blau, Gelb, Rot – treffen dynamisch aufeinander. Die Farbe ist nicht nur aufgetragen, sondern modelliert, geschichtet, fast skulptural.

    An den hier gezeigten Arbeiten wird Grosses früher experimenteller Umgang mit Farbe und Material sichtbar. Farbe hat nicht nur eine visuelle Bedeutung, sondern wird zu einem physischen Akteur im Raum. Bereits hier deutet sich an, wie die Künstlerin später ihre Malerei in den Raum ausdehnen und Farbe als plastisches Element einsetzen wird.

    Kommen Sie nun mit in Raum 111, den letzten Teil der Ausstellung. Dort sehen Sie anhand einer Gruppe von Plastiken, mit welcher Formensprache Katharina Grosse zwischen 2017 und 2021 gearbeitet hat.

  • 11 Katharina Grosse
    Ohne Titel

    Die Plastik besteht aus Bronze und misst 75,5 cm in der Höhe, 138 cm in der Breite und 57 cm in der Tiefe. Ihre Form ist vielschichtig, mit scharfkantigen, ausladenden Spitzen, die in verschiedene Richtungen zeigen. Die Oberfläche ist uneben, mit Falten, Kanten und Brüchen, die an zerklüftete Gesteinsformationen erinnern.

    Die gesamte Plastik ist mit Acrylfarbe besprüht, wodurch ein intensives Farbspiel entsteht. Leuchtendes Gelb, Grün und Rot wechseln sich mit tiefem Blau, Lila und Schwarz ab. Die Farben verlaufen in Streifen und überlagern sich, teils mit sanften Übergängen, teils mit scharfen Kontrasten. Die Farbe folgt der Struktur der Bronze und betont deren Kanten, wodurch eine zusätzliche Tiefenwirkung entsteht.

    Die Bronzeplastik steht frei im Raum und scheint sich durch ihre dynamische Form nach außen zu bewegen.

    Diese farbintensive Bronzeplastik entstand 2019. Katharina Grosse hat sie in kräftigen Farben besprüht – Gelb, Grün, Rot, Blau, Lila und Schwarz. Das Nebeneinander der Farben ist dabei immer wieder anders – zum Teil wählt die Künstlerin sanfte Übergänge, an anderen Stellen harte Kontraste. 

    Die Oberfläche der Plastik ist stark zerklüftet – es zeichnen sich scharfe Kanten, Falten und Brüche ab. Dadurch entsteht ein interessantes Spiel mit Licht und Schatten. Die Bemalung betont die Struktur der Arbeit, was ihr eine dynamische Kraft verleiht. Fast wirkt es, als sei sie in Bewegung und wäre noch dabei, sich weiter zu entfalten. 

    Vergleichen Sie einmal die raumgreifende, vielschichtige Form dieser Plastik mit Grosses anderen Arbeiten in diesem Raum. Zwei Werke aus dem Jahr 2017 zeigen einen ähnlichen Umgang mit Farbe und Material, unterscheiden sich jedoch in ihrer Form: sie sind flacher und kompakter angelegt und wirken anders in ihrer räumlichen Entfaltung, stärker an einzelne Richtungen gebunden. 

    Eine weitere Plastik hier im Raum, aus dem Jahr 2021, unterscheidet sich ebenfalls in einigen Merkmalen von der 2019 entstandenen Arbeit: in der Formensprache wirkt sie kompakter und geschlossener, die Oberfläche scheint stärker zusammengezogen, mit weicheren Übergängen zwischen den einzelnen Teilen. Während die ältere Arbeit eine Kombination aus strahlenden und dunklen Tönen zeigt, wählt die Künstlerin zwei Jahre später schwächere Kontraste. 

    An den hier im Raum versammelten Plastiken, die innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von vier Jahren entstanden, lässt sich eine Entwicklung in Katharina Grosses Schaffen erkennen. Von offenen, experimentellen Formen über eine raumgreifende, dynamische Phase bis hin zu einer gezielteren, verdichteten Formensprache.

    Damit sind wir am Ende der Ausstellung angekommen. Wir hoffen, dass Ihnen der Rundgang durch die Kunst von Katharina Grosse gefallen hat. Und vielleicht haben Sie sogar neue Perspektiven auf die Möglichkeiten der Malerei gewonnen. 

    Wir würden uns freuen, Sie bald wieder hier im Kunstgebäude oder in der Staatsgalerie begrüßen zu dürfen. Für heute sagen wir ‚Danke schön‘ und auf Wiedersehen.

    Sie hörten eine Führung von Historicity in Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart.