Künstler
Vittore CarpaccioTitel
Lesende MariaDatierung
um 1505–1510Technik / Material
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragenMaße
Höhe: 78 cm; Breite: 51 cmCreditline
Washington, National Gallery of Art, Samuel H. Kress CollectionCopyright
Washington, National Gallery of ArtCC-Lizenz
Public Domain Mark 1.0 - Weltweit frei von bekannten urheberrechtlichen Einschränkungen
Aufmerksam und ganz in den Text versunken liest Maria in einem Buch. Wir sehen sie von schräg hinten, auf einer Brüstung sitzend.
Im Gegensatz zu traditionellen Mariendarstellungen trägt sie kein rotes Gewand mit einem blauen Mantel, sondern ein hellrot-orangefarbenes Kleid mit aufwendiger Bordüre, das der venezianischen Mode um 1500 entspricht. Auf dem Kopf: ein turbanähnliches Tuch mit Schleier. Hinter ihr öffnet sich eine Wasserlandschaft mit Stadtansicht.
Das Jesuskind, dessen linker Arm und Fuß am linken Bildrand noch zu sehen sind, war Teil des ursprünglich größeren Gemäldes: Es ging aber verloren, als das Bild später beschnitten und so verkleinert wurde.
Übrig blieb die lesende Maria, eine eindrucksvolle, monumentale Figur. Dass die Gottesmutter mit einem Buch in der Hand dargestellt wird, ist nichts Ungewöhnliches. In der katholischen Kirche trägt sie auch den Beinamen „Sedes Sapientiae“ – Sitz der göttlichen Weisheit; das Buch ist also ein geläufiges Attribut. Dass sie allerdings aktiv und konzentriert in diesem Buch liest, ist eher originell.
Carpaccio zeigt uns Maria also nicht nur als eine zentrale Figur der religiösen Verehrung. Er kleidet sie in eine zeittypische Mode, lässt sie in einer an Venetien erinnernden Landschaft Platz nehmen und erhebt sie zu einem Vorbild weiblicher Bildung und Lesekultur – zu einer Identifikationsfigur.
Tatsächlich nehmen Frauen in den Gemälden Carpaccios einen ungewöhnlich großen Raum ein. Sie treten selbstbewusster auf als in den Werken anderer venezianischer Maler der Zeit. Indem er die Lebenswelt der Frauen – die Beschränkung auf fromme Lektüre – zum Thema seiner Gemälde machte, könnte Carpaccio sich in seinen Werken gezielt an Frauen gewandt haben… als Betrachterinnen und vielleicht sogar als Auftraggeberinnen.